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Ein Jahr nach dem Erdbeben: Für Aman ist Nepal fern und nah zugleich

Aman Bhattarai
 
22. April 2016
 
Es waren Bilder, die um die Welt gingen. Bilder von Trümmerbergen. Bilder von Verletzten, die aus den Überresten ihrer Häuser geborgen wurden. Bilder von hilflosen Menschen, die von einem Moment auf den nächsten obdachlos geworden waren. Am 25. April ist es ein Jahr her, seit ein verheerendes Erdbeben Nepal erschütterte, ein zweites Beben folgte am 12. Mai. 8900 Menschen starben, 600.000 Häuser wurden zerstört, darunter viele Schulen. Aman Bhattarai, nepalesischer Student an der Jacobs University in Bremen hatte seinerzeit eine spontane Hilfsaktion initiiert. Der Wiederaufbau, sagt er, ist jedoch nicht die einzige Herausforderung, der sein Heimatland sich stellen muss.     
 
„Es war schrecklich, diese Bilder aus meiner Heimat zu sehen“, erinnert sich Aman Bhattarai. Der 24-Jährige Nepalese studiert „International Logistics Engineering & Management“ an der Jacobs University. Noch ein Jahr vor dem Beben hatte er seine Eltern in Kathmandu besucht. Als er sie nach dem Beben am Telefon erreichte, war seine Erleichterung groß. Seine Mutter und sein Vater hatten Glück im Unglück gehabt: Zehn Tage lang mussten sie aufgrund von Räumarbeiten in einem Zelt übernachten, dann konnten sie in ihr Haus zurückkehren. 
 
Doch Aman ließ das Gefühl nicht los, den Erdbebenopfern in seiner Heimat helfen zu müssen. Auch vielen seiner Kommilitonen ging es ähnlich. Fast 40 der insgesamt 1200 Studierenden an der Jacobs University stammen aus Nepal. „Wir kennen uns gut“, sagt Aman. Er und viele seiner Kommilitonen halten von Bremen aus auch Kontakt zu Landsleuten, die vor ihnen an der Jacobs University studiert haben. Einige dieser Jacobs Absolventen arbeiten inzwischen wieder in Nepal und benachbarten Ländern und hatten sich nach dem Erdbeben spontan entschlossen, Erdbebenopfern in den betroffenen Regionen zu helfen. Für Aman war das ein Zeichen. Mit Hilfe von Kommilitonen und Mitarbeitern der Universität rief er kurzfristig eine Spendenaktion ins Leben – und das mit großem Erfolg. Beschäftigte, Studierende und ihre Gastfamilien, aber auch andere Bremer, die von der Aktion erfahren hatten, spendeten insgesamt rund 10.000 Euro. Mit dem Geld konnten betroffene Familien mit Zelten, Nahrungsmitteln sowie Baumaterialien für den Wiederaufbau von Häusern unterstützt werden. 
 
Auch wenn er seit fünf Jahren 6500 Kilometer von seiner Heimat entfernt lebt, ist Aman in Gedanken oft dort – und das nicht erst seit den verheerenden Erdbeben. Oft frage er sich, wie das Land einen Weg in eine bessere Zukunft finden könne. „Nepal  braucht dringend stabile politische Verhältnisse und weniger Bürokratie“, sagt er. Ähnlich äußern sich auch Hilfsorganisationen. So monierte Caritas International vor wenigen Tagen, dass es Hilfsorganisationen bislang aufgrund staatlicher Vorgaben nicht erlaubt war, Erdbebenopfer beim Hausbau direkt zu unterstützen. Erst nach intensiven Verhandlungen seien diese Restriktionen ein wenig gelockert worden. Seither dürften Hilfsorganisationen Erdbebenopfer bis zu einer Höchstgrenze von rund 2500 Euro unterstützen. Dies sei jedoch keine wirkliche Erleichterung, da der Bau eines erdbebensicheren Hauses mindestens 4500 Dollar koste, kritisiert Caritas International. Armen Familien bleibe so der Zugang zu einem sicheren Dach über dem Kopf verwehrt. 
 
Aman Bhattarai war es denn auch wichtig, dass er und seine Kommilitonen auf privatem Weg Hilfe organisieren und so die bürokratischen Umwege vermeiden konnten. Er selbst stammt aus einer der vergleichsweise privilegierten Familien im Land: Sein Vater arbeitet in der Logistik-Branche, die Mutter als freie Publizistin. Auch sein jüngerer Bruder Ashmin studiert mittlerweile an der Jacobs University. Äußerlich gesehen wäre es für Aman Bhattarai ein Leichtes, sich von den widrigen Umständen in seiner Heimat zu distanzieren. Das Studium an der Jacobs University hat ihm, wie er sagt, viele Türen geöffnet. Sicher, am Anfang sei es schwierig gewesen, sich in einem fremden Land zurechtzufinden. „Ich konnte ja kein Wort Deutsch. Der Campus war mir zwar schnell vertraut. Aber sobald ich das Uni-Gelände verlassen habe, fühlte ich mich unsicher“, erinnert er sich. „Allerdings  habe ich schnell gemerkt, dass es den Kommilitonen, die kein Deutsch sprachen, genauso ging. Das hat etwas sehr Verbindendes: Du merkst auf einmal: Egal, aus welchem Land du kommst: Die Herausforderungen sind für jeden die gleichen.“ 
 
Mit Kommilitonen aus rund 100 verschiedenen Ländern auf einem Campus zu studieren und zu leben habe seinen Blick für Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen unterschiedlichen Kulturen geschärft. „Das macht es mir leichter, Menschen aus anderen Ländern zu verstehen und mit ihnen zusammen zu arbeiten. Ich glaube, das ist ein großer Vorteil beim Sprung ins Berufsleben.“ Schon während des Studiums hat er nebenbei als Analyst in namhaften Unternehmen wie Lufthansa Cargo, oder Arcelor Mittal gearbeitet. Seine Abschlussarbeit schreibt er zur Zeit bei Amazon in München. 
 
Doch sein Wunsch ist es, einen Beitrag zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in Nepal zu leisten. Den könnte das Land dringend brauchen – nach den Erdbeben erst recht. Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass Nepal noch Jahre unter den Folgewirkungen der Naturkatastrophen leiden wird. Aman blickt unterdessen Richtung Indien. Der große Nachbar sei ein Land mit gewaltigen sozialen Gegensätzen, gewiss. „Aber immerhin auch ein Land, das es geschafft hat, attraktiv für ausländische Investoren zu werden, die viele Arbeitsplätze geschaffen haben.“ Nepal sei da noch längst nicht soweit. Aman möchte, dass sich das ändert. Er möchte für sein Land werben, obwohl – nein gerade weil er um die Probleme im Land weiß. Er glaubt, dass seine Landsleute schon viel Ausdauer beweisen mussten und die Chance auf eine bessere Zukunft verdient haben. „Ich möchte irgendwann nach Nepal zurückkehren und dort Arbeitsplätze schaffen. Das ist mein festes Ziel.“
 
Veranstaltungstipp: In Nepal haben viele Kinder keinen Zugang zu Schulbildung. Hier setzt die Initiative „Teach for Nepal“ an. Sie wendet sich an Studierende, die nach ihrem Abschluss für zwei Jahre als Lehrkraft in Nepal unterrichten wollen. Hierbei handelt es sich um einen mit Spendengeldern finanzierten Arbeitsaufenthalt. Zwei Vertreter der Initiative, darunter einer der Mitbegründer, sind am Mittwoch, 27. April von 17 bis 19 Uhr in der Jacobs University, Campus-Ring 1, zu Gast und stellen im Conference Room im Campus Center die Arbeit von „Teach for Nepal“ vor. Die englischsprachige Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt ist frei. Um Voranmeldung per E-Mail an das Career Services Center, Petra Zarrath (p.zarrath [at] jacobs-university.de) wird jedoch gebeten.